Samstag, 12. April 2014

DŸSE


DŸSE! Bevor es abends amtlich im Conne Island gekracht hat, haben wir die Jungs getroffen. Wer Jarii und Andre kennt, weiß, dass "normal" nicht unbedingt ihr Ding ist. Diesbezüglich ging es heiser und mit geballter Ladung trockenem Humor zur Sache. Während Andre Saiten wechselte, machten wir uns auf, mal zu klären, wie das ist mit "Das Nation", der pikanten Minute 5:41 in ihrem aktuellen Video zum Song "Spinne" und zeichneten einen Erlebnisbericht von ihrem Aufenthalt beim SXSW-Festival in Austin.

mvw: Wollen wir das hier auf Englisch machen?

jarii: Yo, wir können eh nur Englisch.

mvw: Nun, how was it in Amerika?

jarii: Es war, bis auf das Englisch-Gequatsche, gut. Nee, es war top. Wir haben viel gesehen, gehört, haben viele Kontakte geknüpft und vor allem die Atmosphäre dort war richtig Bombe.
andre: Es war auf alle Fälle ein neuer Horizont, den wir für uns entdeckt haben, eine super Erfahrung und wir werden auf jeden Fall da wieder hinfahren und etwas machen. Konzerte wahrscheinlich.

mvw: Die müssen euch doch geliebt haben, oder? Ihr bringt doch alles mit was —Stereotyp an— Amis an deutscher Musik lieben: kantige, kalte Aussprache und ordentlich Bumms dahinter.

jarii: Schon, aber wir haben einmal in diesem "German House" gespielt, wo wir kein eigenes Equipment hatten und uns das dankenswerter Weise von der französischen Band "La Femme" ausleihen konnten, was aber auf Surf-Mukke und nicht auf eine Krach-Band abgestimmt war und deswegen haben wir uns da nicht so wohl gefühlt. Nichtsdestotrotz ist es gut angekommen. Der andere Gig war in einem Laden namens „Metal and Lace“, da haben wir uns für Schweine-Geld Equipment ausgeliehen, aber dieses Mal wohl gefühlt und schwupp war auch die Show der Hammer.
andre: Das war wirklich genial. Da sind auch viele Leute nach der Show gekommen und haben sich bedankt.

jarii: Danke, haben die gesagt.

andre: Es hat wirklich viel Spaß gemacht und wir hätten das wahrscheinlich schon viel eher mal abchecken sollen, aber wie man halt so ist, will man dann halt noch mal gerne in Saalfeld spielen und kämpft darum. Übrigens hat das immer noch nicht geklappt.

mvw: Also, gibt es jetzt nur noch Amerika-Tourneen?

jarii: Ja. Immer in derselben Stadt und im selben Laden. Die zahlen halt gut.

mvw: Ist Amerika also "Das Nation"?

jari: Nee, überhaupt nicht.

andre: "Das Nation" sind alle Leute, die sich zu DŸSE dazugehörig fühlen. Wir wollen ja hier niemanden vor den Kopf stoßen, das kann auch jeder selbst entscheiden, aber entscheidet euch!

jarii: Richtig, für uns, ne.

mvw: Was sind denn kulturelle Merkmale für die DŸSE-Nation?

jarii: Total open-minded sein.

andre: Jap. Man muss sich selbst küssen und gleichzeitig in den Arsch treten können. Jetzt mal auf den Charakter bezogen. Das wäre schon super. So Narziss ist nicht so gerne gesehen, oder?

jarii: Klar, wenn die gerne DŸSE hören. Also man kann auch total narzisstisch unterwegs sein, Hauptsache man hört gern DŸSE. (beide lachen) Ich glaube, wir sprechen damit direkt die Leute an, die unsere Musik sowie unseren Humor mögen und total offen sind. Gestern war es auch wieder so. Im Publikum ist vom 16- bis na gut, 80- nicht, aber 75-jährigen vielleicht, vom Jazzer über den Hip-Hopper über den Grindcore-Spezi bis hin zum normalen Radio-Hörer alles dabei und das ist geil. Das mit der "Nation" soll ja auch nur ein Ausdruck für eine Sache sein, der man sich zugehörig fühlt und ich denke und hoffe, dass wir da ein ordentliches Stück "Nation" sind.

andre: Es geht eigentlich um den Lifystyle und die Musik, und dass man sich da keine Grenzen setzt, sich nicht in irgendein Genre reindrückt. Selbst Hörer machen das ja gerne.  Jeder soll aber offen sein und sich mit einbringen.

mvw: Kommt es eigentlich immer noch häufig vor, dass Menschen vor der Bühne staunend und mit offenem Mund dastehen?

andre: Ja, dass liegt aber an den Eintrittspreisen.

jarii: ...und an der schlechten Luft, weil so viele Leute da sind.

andre: Das ist aber ein Trick von uns, weil die Leute daraufhin einfach mehr saufen, wenn denen der Kiefer weh tut. 

jarii: Was uns natürlich nichts bringt, da wir ja keine Getränke verkaufen. Aber im Ernst, das ist uns auch wieder aufgefallen, dass die Leute danach kommen und sagen, es sei unglaublich, was wir da machen. Wir hatten letztens zum Beispiel eine Show mit "C.O.C.", so alten Rock-Grunge-Legenden, und da waren natürlich auch viele Menschen wegen denen da, aber wir haben sie so an die Wand geballert, dass es keinen mehr interessiert hat, was da eigentlich los war. Das tat mir fast schon ein bisschen leid. Das krasseste Bild war eigentlich am Merch-Stand zu sehen: Der Kollege von denen hatte keine Arbeit und bei uns ging das die ganze Zeit fupp, fupp, fupp. Das war schon krass.

andre: Obwohl ich auch mal sagen muss, dass wenn ich in so einem Alter wie die Band ist bin, also so ungefähr Mitte 50, und noch so auf der Bühne abgehe, dann fände ich das spitze.

jarii: Noch mal zu dem offenen Mund: Ich glaube, es liegt einfach auch daran, wenn Leute zu uns kommen, uns nicht kennen und da zwei Leute sehen und sich denken 'gucken wir mal was passiert' und dann macht es (mimt ein Explosionsgeräusch nach), dann sind sie überrascht und sagen meist: "Wie können zwei Leute so viel Druck erzeugen" usw.

mvw: Und dass ihr spielerisch überzeugt, spielt natürlich auch eine Rolle, oder?

jarii: Ja, und das ist uns auch wichtig, dass die Leute nicht das Gefühl haben, wir überzeugen mit Lautstärke. Es geht ja um Musik und nicht um Lautstärke. Die Kombination aus beiden, die Dynamik und wie wir das von der Bühne ballern, beeindruckt vielleicht hin und wieder den einen oder anderen.

mvw: Ich hab es mal als definierter Krach formuliert.

jarii: Halten wir fest.


mvw: Ich bin noch nicht so richtig dazu gekommen, eure neue Platte anzuhören. Bei welchem Song würdet ihr mir empfehlen genauer zu lauschen?

jarii: Das ist wie bei den anderen Platten auch, du musst sie dir in Gänze anhören, da jeder Song seine eigene Identität hat. Sie ist auf jeden Fall nicht mehr ganz so krachig und ich hab auch schon des Öfteren zu Andre gesagt, dass es doch jetzt Pop sei, was hier passiert. Nichtsdestotrotz hat es immer noch die Energie der Vergangenheit, ist aber ausgereifter und hat nicht mehr so den Demo-Charakter. Wir haben lange daran gearbeitet, da ja dann doch immer dieser beschissene Perfektionismus dazu kommt. Es klingt aufgeräumter, ist nicht mehr so sperrig und von daher eingängiger. Zum Beispiel der dritte Song "Reudikamm" ist ein relativ klassischer Rocksong.

andre: So einen hätten wir vor ein paar Jahren wahrscheinlich noch nicht gemacht.

jarii: Genau, es sind Trompeten dabei und es ist ein richtiger Mitwipper, der trotzdem die gewissen DŸSE-Schmankerl, die einem ein Grinsen ins Gesicht schmeißen, mit dabei hat. Einen Song empfehlen kann man da jetzt explizit nicht, aber es lohnt sich mal reinzuhören.

andre: Es ist reifes Album geworden.

mvw: Weil auch ihr gereift seid?

andre: Schon, ja, absolut.

jarii: Also man probiert viel aus. Früher haben wir mehr innerhalb eines Songs experimentiert und heute ist das Experiment mehr über die ganze Platte verteilt. Der einzelne Song ist homogener als früher, aber dafür ist das Album abwechslungsreicher.

andre: Ich denke, die ganzen Songs sind mehr auf den Punkt gebracht und die Platte ist damit reich an... (überlegt)

jarii: Armut. (beide lachen)

andre: Genau, an Armut. Nee, reich an verschiedenen Elementen, die aber nicht nur mal kurz nervig sind und dann wieder aufhören — die nerven eigentlich die ganze Zeit. (lacht)

jarii: Genau, damit die Leute es dann richtig genießen, wenn man danach ein Album einer anderen Band hört.

mvw: Katze oder Baby? In eurem Song "Strt" kommen Geräusche vor, die ich nicht zuordnen kann.

andre: Sie heißt Madonna und ist eine Mieze.

jarii: Sie war die ganze Zeit immer sehr interessiert daran, was wir da machen, ist im Studio rumgerannt und immer wenn man sie auf dem Arm hatte, hat sie zwar geschnurrt, wollte aber auch immer gleich wieder weg und hat dann so angefangen zu meckern. Da haben wir gleich das Mikro angemacht und sie hat das sehr gut gemacht. First Take!

andre: Wir haben sie nicht gequält. Sie hat wirklich von ganz allein ganz brav eingesungen.

mvw: Euer Musikvideo zum Song "Spinne" hab ich mir ein wenig genauer angeschaut und bin irgendwie bei Minute 5:41 hängen geblieben. Dabei ist mir aufgefallen, dass sich Jariis gesamte Brustbehaarung bei Andre eher über den ganzen Körper verteilt. Wolltet ihr das den Menschen zeigen?

jarii: Ja, wir haben gesagt: "Mut zur Hässlichkeit!".

andre: Halt mal, das ist doch keine Hässlichkeit. Das ist Avantgarde. (lacht)

jarii: Wir sind ja auch Kinder des Ostens und mit FKK groß geworden und da es am Drehort richtig kalt war, wollten wir einfach beweisen, was wir für richtige Männer sind und haben uns bei der Kälte nackig gemacht. Letztlich haben wir es nur gemacht, weil unser Label gesagt hat: "40000€". Dann haben wir "60" gesagt, die "50" und wir "ok, wir machen es.". (beide lachen)


mvw: Wo ist es gedreht wurden?

andre: In Dresden, in den Ballroom-Studios.

jarii: Da ist so ein alter Ballsaal, der jetzt umgebaut wird und in den in Zukunft Studios und Ateliers reinkommen.

mvw: Ok, aber im Ernst, wer hat nun den Längeren?

jarii: Das ist Tagesform-abhängig. (Andre lacht) Bei den Temperaturen dort konnte man das echt nicht als Maßstab nehmen.

andre: Es war echt saukalt. In den ersten Durchgängen war das noch ok, aber durch das ständige Warten und dem Wechsel zwischen Schwitzen und Kälte war das echt grenzwertig.

jarii: Ich mein, du hörst ja meine Stimme. Das ist zwei Wochen her und ich bin immer noch heißer.

mvw: Wie machst du das eigentlich heute Abend? Bekommst du das mit der Stimme hin?

jarii: Ich denke ja. Das ist eigentlich klassisch, wenn wir so lange auf Tour gehen, bin ich meist nach drei Tagen heißer und dann braucht man so zwei Tage und da dachten wir: 'Leipzig ist eh nicht so wichtig'. Das passt aber schon, da sich mein Gesangsanteil in Grenzen hält. Das Meiste singt eh Andre und ich bin dann eher der dazwischen quatscht und Blödsinn macht, obwohl ich bei der letzten Platte schon relativ viel gesungen habe, weil da ja auch viel Gesang drauf ist.

andre: Joa, da haben wir uns auch gut arrangiert mit dem Gesang. Wir hatten da nie das Gefühl, dass jetzt unbedingt Jari oder ich einen bestimmten Teil singen müssen. Es lief relativ frei und je nachdem wie wir uns gefühlt haben. Wenn einer gut drauf war, dann hat er halt gleich noch dies oder das mitgemacht. Wir machen uns da keine Vorschriften und deswegen ist es manchmal auch so durcheinander und das ist ja wiederum der Grund, warum es so fett ist.

mvw: So ist dann auch "Out of Tune" entstanden?

jarii: Naja, so ungefähr.

andre: Nicht ganz.

jarii: Da musste ich Andre prügeln, damit er auch mit auf die Platte kommt.

andre: Ja, ich war erst ganz schön skeptisch. Ich musste den Song für mich im Kopf erst eine lange Zeit beleuchten, weil ich den Song eben nicht als Witzobjekt sehe. Er wird zwar so dargestellt, aber für mich ist das keine Witznummer. Das ist echt ernst gemeint. Für mich ist das ein ernster Song, weil es erstens wahrscheinlich niemand machen würde und wenn, dann eben als Witznummer. Obendrein spricht er irgendwie ja auch viele Leute an.

jarii: Der Song ist ja auch eher aus Zufall, während wir live unterwegs waren, entstanden. Immer wenn mal eine Saite reißt, bin ich am Zug die Leute zu unterhalten und dann ging das irgendwann mal damit los. Als dann die Leute anfingen das auch noch mitzusingen, haben wir gemerkt, dass es ja auf seine Art funktioniert. So kam eben die Idee den Mut zu haben, das auch mal live auf eine Platte zu packen. Ich denke, neunzig Prozent der Bands dieser Welt würden das niemals tun, weil es nach außen nicht unbedingt präsentiert, dass man ein guter Musiker oder Sänger ist. Darum ging es uns aber überhaupt nicht. Ich bin vom Kopf her auch sehr dadaistisch veranlagt und es ist ja trotzdem Musik, die uns auch sehr gut ausdrückt — dass wir drauf scheißen, nämlich.

andre: Der Song reflektiert auf jeden Fall.

  
mvw: Es ist ja teilweise sogar schwieriger schief zu spielen, oder?

andre: Absolut. Schon wenn man drei Achtel in diesem Song gerade spielt, hat man sich verspielt. (lacht) Es ist strange.

jarii:
Wir hatten einen Trompeter mit klassischer Ausbildung bei den Aufnahmen dabei und auch er hatte ein riesiges Problem damit schief zu spielen, weil man ja automatisch wieder in den geraden Ton rückt. Wir haben ihn dann auch gedrängt schlechter zu spielen, was er nicht verstehen konnte. Es hat eine ganze Weile gedauert bis er eine Version eingespielt hat, bei der wir gesagt haben: "Das ist schlecht genug. Das können wir nehmen.".

mvw: So gesehen ist es ein Meisterwerk.

jarii: Ja, eigentlich ist es das und das Gute daran ist, wenn man eine Band gründet und noch nie einen Song gespielt hat, ist es schon mal ein Stück, was man covern kann (lacht).

Webseite: dyse-band.de